Wie die AfD an die Macht kommen will: „Wenn man keinen Putsch möchte, muss man eine Wende erzeugen“

Während das Land über ein Parteiverbot debattiert, ist die AfD dabei, die Gesellschaft umzubauen. Mit Läden, die so harmlos klingen, wie das „Heimatrevier“. Ein Besuch in der Lausitz.
Von außen wirkt der Laden unscheinbar. Ein kleines Backsteinhaus an einer Straßenecke in Großräschen, Südbrandenburg, mitten in der Lausitz. Früher war hier eine Versicherung, in der nebenbei Kerzen verkauft wurden. Seit kurzem prangt an den Fenstern der Schriftzug „Heimatrevier“, daneben ein Wappen der AfD.An einem regnerischen Tag im Mai öffnet der Betreiber die Tür. Fabian Jank, 29 Jahre alt, ein kleiner Mann mit gezwirbeltem Schnurrbart. Er kommt aus der Gegend hier, ist studierter Landwirt. Seit dem vergangenen Jahr sitzt er für die AfD im Brandenburger Landtag.
Ende März hat Jank das „Heimatrevier“ eröffnet. Offiziell ein Wahlkreisbüro wie jedes andere, in denen Abgeordnete Sprechstunden abhalten. 1000 Euro bekommen sie dafür monatlich vom Steuerzahler. Doch Jank hat mehr im Sinn als nur ein paar Bürgergespräche. Der Laden solle „ein Treffpunkt für Patrioten“ sein, „für Jung und Alt, für alle, die sich aktuell nicht gehört fühlen“. Kein „steriles Politbüro“, wie er sagt.

Während in Deutschland über ein Verbot und die Hochstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ gestritten wird, treibt die Partei ihre gesellschaftliche Verankerung voran. Ein Verbotsverfahren, sollte es überhaupt kommen, dürfte Jahre dauern. Davon unbeeindruckt nutzt die AfD die Zeit. Auf dem Land, in den Kommunen, vor allem im Osten. Mit Läden, die so harmlos daherkommen wie das „Heimatrevier“. Dort lässt sich beobachten, wie gut diese Strategie bereits funktioniert. Und wie wenig ihre Gegner bisher davon mitbekommen haben.Im Inneren wirkt der Laden eher wie eine Mischung aus Kneipe und Café. In der Mitte ein Tresen mit Barhockern, daneben eine „Chill-out-Area“ (Jank): dunkle Ledercouch, Bierfässer als Stehtische, Hirschgeweihe an den Wänden. Hinten im Regal reihen sich Bücher und Comichefte rechter Verlage. Auch Schriften von Martin Sellner, dem Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung. Außerdem Sticker: „Stolz statt Pride“, „Millionenfache Remigration“.
An wen Jank sich damit wenden will? An Jugendliche zum Beispiel. An jene, die sich über TikTok politisieren und in der Schule wegen ihrer AfD-Sympathien anecken. Er sehe sich da in der Pflicht als Mandatsträger: „An der Stelle einzugreifen, an der der Politikunterricht versagt.“ Seine Botschaft an die jungen Leute: Haltet euch in der Schule mit eurer Meinung zurück – kommt lieber hierher, lest die Bücher, hört die Vorträge. Es klingt wie alternativer Schulunterricht. Beim AfD-Abgeordneten.

Während Jank spricht, öffnet sich die Tür. Ein Jugendlicher kommt in den Laden, der an diesem Tag eigentlich geschlossen ist. Dunkle Jacke, leichter Flaum auf der Oberlippe. „Ah, du willst das Buch, hab’s extra eingepackt“, sagt Jank und verschwindet in seinem Büro nebenan. Als er wiederkommt, hält er eine Ausgabe von „Die Moral des Bombenterrors“ in der Hand, eine alte Studie über das Flächenbombardement im Zweiten Weltkrieg. „Meld dich, wenn du das nächste brauchst“, sagt Jank. Der Junge bedankt sich und verschwindet. Als er weg ist, sagt Jank knapp, in der Schule werde selten über „Kriegsverbrechen an Deutschen“ gesprochen. Er habe kürzlich dazu etwas gepostet. Der Junge sei sehr interessiert.Jank gehört zu einer jungen Generation von AfDlern, die eng mit dem sogenannten Vorfeld der Partei verbunden sind. Früher schrieb er für das Compact-Magazin, heute für das rechte Ökologie-Journal Die Kehre. Gerade ist er aus Italien zurückgekehrt, von einem rechtsextremen Vernetzungstreffen in Mailand: dem „Remigration Summit 25“, der europaweit für Schlagzeilen sorgte. Auch, weil Mitgliedern der Identitären Bewegung die Ausreise untersagt wurde. Auf der Bühne hatte der Portugiese Afonso Gonçalves, Gründer der Bewegung „Reconquista“, die Vision der Neuen Rechten formuliert: „Wir haben einen Traum: Er heißt Remigration, für ein Europa, das in zehn Jahren nur noch den Europäern gehören wird, ohne Einwanderer.“
Jank sagt, er habe sich nur mal informieren wollen, fände es „interessant, mich damit auseinanderzusetzen“. Jetzt, da der Begriff ja auch hierzulande etabliert sei.
Als Jank Anfang April sein „Heimatrevier“ auf Social Media vorstellte, gab es Applaus aus der Neuen Rechten. „Vorbildlich“, lobte Benedikt Kaiser, einer der einflussreichsten Publizisten der Szene und Mitarbeiter des Thüringer Bundestagsabgeordneten Robert Teske. Bürgerbüros, so schrieb Kaiser, müssten keine langweiligen Orte sein. „Macht sie zu lebendigen Treffpunkten, zu Inseln des Miteinanders und der patriotischen Solidarität.“ Auch Götz Kubitschek, Verleger und Spiritus Rector des rechtsintellektuellen Milieus, gratulierte.Kaiser und Kubitschek werben seit Jahren für eine Strategie, die ihren Ursprung ausgerechnet in den Schriften eines italienischen Kommunisten hat. Antonio Gramsci, in den 1930er-Jahren in Mussolinis Gefängnissen inhaftiert, suchte nach einer Erklärung dafür, warum Revolutionen scheitern. Er kam zu dem Schluss, dass sich politische Macht nicht allein in Parlamenten entscheidet, sondern viel früher: in den Köpfen der Menschen. Wer einen gesellschaftlichen Wandel herbeiführen wolle, müsse das Alltagsdenken prägen. Das, was Menschen für normal halten, die Sprache, die Gewohnheiten. Gramsci nannte das die „kulturelle Hegemonie“.Die Neue Rechte hat sich das Konzept angeeignet. In Deutschland ist es vor allem Benedikt Kaiser, der in Büchern beschreibt, wie die Rechte nicht länger nur gegen das Bestehende anreden, sondern eine eigene kulturelle Ordnung aufbauen solle. Eine Gegenöffentlichkeit aus Büchern, Zeitschriften, Podcasts und Treffpunkten. Seine These: „Hegemonie wird nicht durch Wahlergebnisse hergestellt, Wahlergebnisse sind die Folge von Hegemonie.“
Allmählich scheinen diese Ideen in der Fläche anzukommen. Fabian Jank hat alle Bücher von Kaiser gelesen, oft mit ihm gesprochen. Man kenne sich seit vielen Jahren, sagt Jank. Sein Heimatrevier in Großräschen wirkt wie eine direkte Ableitung aus den Gesprächen. Und nicht nur er orientiert sich an den Ideen der rechten Ideologen.

Schon 2018 hat Hans-Christoph Berndt, der Fraktionsvorsitzende der AfD im Brandenburger Landtag, die „Mühle“ in Cottbus eröffnet. „Das Wohnzimmer der Bürgerbewegung“, wie es auf der Website heißt.Auch dort verschwimmen die Grenzen zwischen politischer Arbeit und sozialem Treffpunkt. Für Vorträge kommen Parteigrößen wie Maximilian Krah, dazwischen gibt es Jugendtreffs und alle zwei Wochen ein Seniorencafé. „Lasst uns bei einem ordentlichen Kaffee und köstlichem Kuchen ein paar schöne Stunden miteinander verbringen“, heißt es in der Einladung. Vor ein paar Wochen kam ein Pianist aus Weimar, spielte Bach und Chopin, Volkslieder und Schlager. Der brandenburgische Verfassungsschutz bezeichnet die Mühle als rechtsextremen Szenetreff.
Dominik Kaufner betreibt in Nauen ein ähnliches Büro wie Jank. Kürzlich gab es sonntags einen „Spielenachmittag“. Schach, Karten, Tischfußball mit dem AfD-Abgeordneten. Man sei ganz ungezwungen ins Gespräch gekommen, habe auch nicht nur über Politik gesprochen, postete Kaufner später auf Facebook. Anfang Mai hielt Jank dort einen Vortrag über rechte Ökologie. Zwei Tage später sprach Kaufner in Großräschen über den 8. Mai: Der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus? Für ihn kein Tag zum Feiern.
Wöchentlich bietet die AfD in Brandenburg Veranstaltungen an. Partypavillons auf Marktplätzen, Infostände vor Supermärkten. Familienfest in Nauen, Bürgerdialoge in Brieselang, Grünheide, Luckenwalde. Zum AfD-Biertrinken trifft man sich bei Stammtischen in Werder, Stahnsdorf und Michendorf. Oder zum Kino. Anfang Juni präsentiert Fabian Jank in Großräschen „Nur ein Piks“, eine „schonungslose Doku über die Folgen der Corona-Zwangsimpfung“, wie er auf Facebook ankündigt. Schon am Nachmittag werde es Kaffee und Kuchen bei ihm im Heimatrevier geben. Aus Platzgründen gehe es dann zur Filmvorführung in die örtliche Bowlingbahn.Auch in anderen Bundesländern, vor allem im ländlichen Osten, ist die AfD omnipräsent. In Brandenburg geht sie den nächsten Schritt hin zur kulturellen Hegemonie.Hans-Christoph Berndt, der Fraktionsvorsitzende, ist Ende Mai telefonisch im Auto zu erreichen. Mit der Mühle in Cottbus setzte er den Impuls, an dem sich Jank und andere Abgeordnete inspirierten. Auch in seinem eigenen Bürgerbüro, dem „Cabinet“ in Golßen, organisiert er regelmäßig Lesungen und Vorträge.
Ihm sei „immer klar gewesen“, dass es mehr brauche als Demonstrationen und Montagsspaziergänge, sagt Berndt. Mehr als den Frust auf der Straße. So wie linke Parteien in fast jedem Ort ein Kulturprojekt betreiben würden, müsse auch die Rechte Kulturräume etablieren. In Brandenburg gehe seine Partei „mit gutem Beispiel voran“. Insgesamt aber sei noch viel zu tun. „Viele in der AfD haben noch kein Gespür für die Bedeutung solcher Räume“, sagt Berndt. Das müsse sich ändern. „Wenn man keinen Putsch will, muss man eine metapolitische Wende erzeugen.“ Was es brauche, sei das, was die 68er erreicht hätten: „ein neues Normal“.

Wie dieses neue, rechte Normal aussieht, lässt sich bereits an vielen Orten im Osten beobachten. In Dörfern, in denen so gut wie jeder die AfD wählt. In Jämlitz-Klein Düben, in der Lausitz, kam die Partei bei der Bundestagswahl auf 69,2 Prozent. In Groß Luckow in Mecklenburg-Vorpommern waren es gar 74,7. Aber auch in Großräschen erzielte Fabian Jank mehr als 40 Prozent. Auch hier ist ein Wandel in den Köpfen zu bemerken.Einer, der davon erzählen, aber es nicht so recht verstehen kann, ist Peter Zenker. Ein SPD-Mann, der in Großräschen jede Wahl gewinnt. Er ist der Bürgermeister der ehemaligen Tagebaustadt, schon seit den frühen Neunzigern, „seit 32 Jahren“, wie er stolz berichtet. Man erreicht ihn am Telefon und hört ihn ringen mit der Frage, warum die Strategie der AfD auch in seiner Stadt so gut verfängt.Zenker ist hier aufgewachsen, ein echter „Räschener“. Er wurde als junger Mann Bürgermeister in den wahrscheinlich schwierigsten Jahren der Stadt. Ende der Achtziger war ein ganzer Stadtteil mit 4000 Einwohnern dem Tagebau zum Opfer gefallen, es fand die größte Umsiedlung in der Geschichte der Lausitz statt. In den Jahren nach dem Mauerfall galt Großräschen als abgehängter Ort. Verloren und von den jungen Leuten verlassen, wie so viele Regionen im Osten.
Doch die Stadt habe den Strukturwandel gut gemeistert, sagt der Bürgermeister. Es sei gelungen, die Internationale Bauausstellung nach Großräschen zu holen und der ehemalige Tagebau wurde zu einem gigantischen See. Viel Geld floss in die Stadt. Eine hochmoderne Turnhalle wurde gebaut, ein schickes Seehotel, ein Hafen. „Bald können die Leute ihre Bötchen ins Wasser lassen“, sagt Zenker.

Großräschen sei inzwischen wieder ein anerkannter Wirtschaftsstandort, die Lausitz insgesamt auf einem guten Weg. Junge Leute hätten berufliche Chancen, sie könnten sich aussuchen, wohin es gehe. „Die gefühlte Zufriedenheit ist hoch. Aber jeder, der was zu meckern hat, wählt die AfD.“Es macht ihn ratlos. Der Bürgermeister versteht seine Bürger nicht mehr. Sie geben ihm, dem SPD-Mann, bei jeder Wahl die Stimme, und bei den Landtags- und Bundestagswahlen der AfD. In den vergangenen Jahren habe sich die Wahrnehmung der Partei geändert, sagt er. „Die AfD ist salonfähig geworden.“ Eine wählbare Partei selbst für jene, die sie gar nicht wählen. „Da ist keine Schere mehr im Kopf“, sagt Zenker. Und bei Jugendlichen sei die AfD zur Modepartei geworden. Bei Vorwahlumfragen an den Schulen habe sie fast 30 Prozent erreicht. Die SPD, die auf den zweiten Platz kam, hatte gerade einmal halb so viel.Wie gefährlich diese neue Normalität sein könne, zeige sich im Nachbarort Altdöbern, sagt Zenker. Dort brannte im vergangenen Jahr ein Kulturhaus, wohl nach einem Anschlag. Erst kürzlich wurden zwei Tatverdächtige festgenommen, offenbar Mitglieder einer rechtsextremen Terrorzelle. Der eine aus Altdöbern, der andere aus Großräschen, beide erst 15 Jahre alt.
Dennoch, sagt der Bürgermeister, müsse man pragmatisch mit der Partei umgehen. Grabenkämpfe brächten in der Kommunalpolitik wenig. Es werde der Tag kommen, sagt er, an dem die AfD irgendwo mitregiere. Ihm mache das zwar Sorgen. „Aber solange sie nur in der Opposition sitzen, können sie das Blaue vom Himmel versprechen.“ Vor der letzten Wahl habe die AfD enorm viel Geld investiert – im Netz, auf Social Media, und auf den Straßen. „Die hatten die Hoheit über die Laternenmasten.“ Andere Parteien könnten da kaum noch mithalten, auch weil es immer weniger Mitglieder gäbe.

Was im Bürgerbüro von Fabian Jank vor sich geht, davon scheint der Bürgermeister nur eine ungefähre Vorstellung zu haben. „Der gibt Sprechstunden wie andere auch“, sagt er. Wenn er an dem Laden vorbeifährt, seien meist die Jalousien unten.
Dass sich dieser Ort in eine wachsende Zahl von Treffpunkten einreiht – als Teil einer größeren Strategie –, das bleibt vielen verborgen. Sie spüren zwar, dass sich etwas verschoben hat. Dass sich der Ton verändert, das Denken. Aber wie dieser Wandel entsteht, bleibt unsichtbar. Vielleicht gerade, weil die Orte so unscheinbar daherkommen.
Mit dem Vater ins AfD-BüroAn diesem regnerischen Tag im Mai öffnet sich bei Fabian Jank im Heimatrevier immer wieder die Tür. Ein Mann kommt rein, bestens gelaunt, will nur mal kurz Hallo sagen. Hannes, ein „Ur-Räschener“, mittlerweile auch Parteifreund. Kürzlich hat er den Mitgliedsantrag unterschrieben, den ihm Jank hingelegt hat. Bei einer Veranstaltung in der Bowlingbahn.
Ehe er weitererzählen kann, sind zwei Jugendliche da, der eine 15, der andere 16 Jahre alt. Tom und Leon. Sie tragen Rucksäcke, kommen gerade aus der Schule. „Juten Tag“, sagen sie selbstbewusst. Tom erzählt, mit seinen Lehrern gebe es oft Probleme, weil er die AfD gut finde. Deshalb komme er gerne hier ins Heimatrevier. Schon zur Eröffnung sei er mit seinem Vater da gewesen. Seitdem ist er jeden Donnerstag da. Spezi trinken, ein Buch lesen. Letztes Mal: „Die Befreiung von Nemmersdorf“. Ein Comic über eine Massenerschießung der Roten Armee in Ostpreußen.
Fabian Jank weist gleich auf die Filmvorführung über die „Zwangsimpfung“ hin. Die Jungs tragen es in ihre Smartphone-Kalender ein. Heute aber wollen sie sich nur Sticker abholen. Für die Zimmertür und die X-Box. Und für ihre Freunde, die nicht aus Großräschen kommen. Die seien „auch immer sehr interessiert“. Der Lieblingssticker der beiden? „Millionenfache Remigration“.
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Berliner-zeitung